Bad Ems

1939: Weihnachtsfeier mit dem "Führer" (Seite 1)

Bad Ems und Umgebung gleichen seit dem 13. November 1939 einem Heerlager der SS, sogar im Saal des Emser Canisiushauses stehen die Geschütze einer Panzerabwehrkompanie der „Leibstandarte Adolf Hitler”, ihre Ölrückstände im Parkettboden sind noch Jahre später zu erkennen. Das ganze Ausmaß der militärischen Massierungen im Spätherbst 1939 wird den Emsern nicht bekannt, die Nebentäler in der Wiesbach und lahnabwärts bis Miellen sind für Spaziergänger gesperrt, im Schutz der Wälder stehen Lkw-Kolonnen, gepanzerte Fahrzeuge, Geschütze und andere bewegliche Waffen, tonnenweise lagert dort Munition. Ähnlich sieht es in der Umgebung von Nassau, Singhofen und Marienfels aus.

Trotz aller militärischen Prioritäten, der Kontakt zu den Einheimischen soll schnell hergestellt werden. Bereits am 19. November, 20 Uhr, findet im Kurhaus ein SS-Kameradschaftsabend mit anschließendem Tanz statt, vor allem die weibliche Emser Bevölkerung nimmt daran regen Anteil. Am 6. Dezember folgen LAH-Platzkonzerte in Becheln und Marienfels.

Während die militärische Führung in Westeuropa neue Eroberungen plant, droht im eigenen Land die medizinische Katastrophe: Weite Teile des Reiches sind wegen Seuchen, unter anderen Paratyphus, Scharlach und Diphterie, zu Sperrgebieten erklärt. Seit 14. Dezember 1939 besteht Urlaubs- und Ausgehverbot für folgende Orte und Regionen: Ahrweiler, Mayen, Daun, Oschersleben, Reutlingen, Sangershausen, Bad Aibling, Fulda, Bodenbach, Welsdorf, Bernau, Memelland.

Zum Tageswechsel 22./23. Dezember gilt für die SS-Einheiten in und um Bad Ems das LAH-Kennwort „Winternacht”, in der folgenden Nacht lautet die Parole „Tannengrün”. Es ist neblig-trüb und kalt am 23. Dezember, Schneereste liegen auf den Dächern, die Lahn führt Treibeis. Die SS-Verbände feiern an diesem Samstag in ihrem westlichen Vorposten Weihnachten – oder wie sie es nennen, das „Julfest”. Adolf Hitler besucht „seine” Männer im Kurhaus, mit ihm kommen „Reichsführer-SS„ Heinrich Himmler, NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann, Reinhard Heydrich (Chef der Geheimen Staatspolizei), der Luftwaffenchef Feldmarschall Erhard Milch und andere NS-Größen. Hitlers späterer Adjutant Otto Günsche, damals noch LAH-Angehöriger in Ems, in einem Gespräch mit dem Autor über Himmlers Anwesenheit: Der hatte da gar nichts zu suchen, er durfte ja auch nicht an Hitlers Tisch sitzen.

Hitler ist seit Tagen schlechter Laune, Mitarbeitern begegnet er meist mit finsterer Miene. Offenbar steht er noch unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse: Das Panzerschiff „Admiral Graf Spee” ist am 17. Dezember nach heftigen britischen Angriffen in der La-Plata-Bucht und totaler Blockade von der deutschen Besatzung vor Montevideo (Uruguay) versenkt worden, 1100 deutsche Marinesoldaten finden in Argentinien Aufnahme. Der Kommandant des Schiffes, Kapitän zur See Hans Langdorff, erschießt sich am 20. Dezember auf der Schiffsflagge liegend im Internierungslager Buenos Aires.

Von diesen Ereignissen hat Hitler erst wenige Stunden vor seiner Ankunft in Bad Ems erfahren. Aber vor allem die noch ungewisse Lage in Europa hält ihn in Spannung, am Neujahrstag 1940 soll mit dem „Fall Gelb” endgültig der Angriff im Westen beginnen: Seit dem 5. November haben deutsche Truppen ihre Bereitstellungsräume bezogen, mit Hitlers „Weisung Nummer acht” laufen seit 20. November die Vorbereitungen zur Offensive gegen Frankreich, Holland, Luxemburg und Belgien. Eigentlich sollte sie schon am 12. November, 15 Minuten vor Sonnenaufgang erfolgen, starke Regenfälle stoppen den Überfall. Ständig neue Unwägbarkeiten drängen dann immer wieder zu Terminänderungen, am 27. Dezember beschließt das Oberkommando der Wehrmacht den 9. Januar als Angriffsdatum, doch dieser Tag X muss wegen eines plötzlichen Kälteeinbruchs ins folgende Frühjahr verlegt werden.

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