Bad Ems

1939: Weihnachtsfeier mit dem „Führer” (Seite 2)

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Nichts mehr läuft wie geplant, auch die Serie der Hiobsbotschaften nimmt kein Ende, und nun sind dem im Sonderzug „Amerika” umherreisenden „Führer” auch noch zwei Schreckensbilanzen vom Vortag gemeldet worden: 186 Tote und 453 Verletzte fordert am 22. Dezember gegen 0.55 Uhr das schwerste Unglück der deutschen Eisenbahn-Geschichte. Auf der Strecke Magdeburg-Berlin, im Bahnhof Genthin, rast der D 180 (Berlin-Neunkirchen/Saar) in den vorausfahrenden D 10 (Berlin-Köln). Am Abend desselben Tages folgt um 22.19 Uhr die zweite Bahnkatastrophe: ein Sonderzug kollidiert auf der eingleisigen Bodensee-Strecke in Lipbach bei Friedrichshafen frontal mit einem entgegenkommenden Güterzug: 115 Menschen sterben in den Trümmern. Die deutsche Presse berichtet über den schwärzesten Tag des Schienenverkehrs nur am Rande, das wahre Ausmaß wird erst später bekannt. Auch Hitlers Sorge um das eigene Leben ist in diesen trüben Dezembertagen nicht unbegründet: Seit der „Machtergreifung” im Januar 1933 gab es bereits 20 Anschläge oder ernsthafte Versuche ihn umzubringen. Erst vor einem Monat ist er einem Attentat im Münchner Bürgerbräukeller knapp entkommen – nur weil er acht Minuten vor der Bombenexplosion das Gebäude verlassen hat.

Das schlechte Wetter drückt noch zusätzlich auf die allgemeine Stimmung, erinnert sich Hitler-Adjutant Nicolaus von Below: „Das Thermometer zeigte an diesem Tag um 0 Grad Celsius an. Über der ganzen Landschaft lag dichter Nebel. Man konnte nicht weit sehen, ein ausgesprochen ungemütliches und bedrückendes Wetter. Das erkannte auch Hitler, und er zeigte sich bemüht gegen diese Stimmung anzugehen.”

In langen Fahrzeugkolonnen kommen die SS-Einheiten am 23. Dezember aus ihren Standorten zwischen Lahn und Taunus, die Adolf-Hitler-Straße wird zur Aufmarschzone. Südöstlich der Bahnhofsbrücke findet um 14 Uhr ein Regimentsappell statt, knapp 2400 Mann treten dort an, dann marschieren sie in Kompanieformationen zum Kurhaus. In und um Bad Ems herrscht an diesem Samstag höchste Alarmbereitschaft, SS-Posten, verstärkt durch Feldgendarmerie der Wehrmacht und Einheiten der Ordnungspolizei stehen an den Ein- und Ausgängen der Stadt, sie bewachen die Brücken und das gesamte Kurviertel, schwer bewaffnete Motorradstreifen kontrollieren die Straßen. Die Wohnung der jüdischen Familie Königsberger gegenüber dem Kursaal steht unter besonderer Beobachtung. Uniformierte blockieren das „Haus Germania” und wundern sich: Ausgerechnet hinter diesen Mauern sollen Juden wohnen? SS-Männer bilden eine Sicherungskette rund ums Kurhaus. Auf dem Ernst-Vogler-Weg patrouillieren SS-Streifen, auf der Bäderlei am ehemaligen „Mooshüttchen”, wenige Meter entfernt auf der „schiefen Platte” und unterhalb des Konkordiaturms sind MG-Posten in Stellung gegangen. Wo Adolf Hitler ist, da rechnet man immer mit Anschlägen. Aber ein Führer-Attentat unter den Augen der Leibstandarte, das wäre die absolute Katastrophe...