Bad Ems

1938: Judenverfolgung, Emser „Kristallnacht”

Die November-Pogrome 1938, von Propagandaminister Josef Goebbels mit dem Einsatz der NSDAP und ihrer Gliederungen planmäßig inszeniert, finden in Bad Ems einen Tag später statt, aber am Abend des 10. November umso heftiger. Schon zwei Tage vor dem Tod des deutschen Diplomaten und Botschaftssekretärs Ernst Eduard von Rath, in dessen Folge es in Nordhessen bereits zu ersten Ausschreitungen kommt, herrscht auch in der Kurstadt eine gereizte Stimmung, angeheizt durch amtlich gesteuerte Hetzpropaganda und entsprechende Berichterstattung der heimischen Medien. Bad Ems ist die größte jüdische Gemeinde im Unterlahnkreis, sie gehört zu den deutschen Städten, in denen der Mob gegen nichtarische Bewohner besonders heftig wüten wird. Nicht irgendwelche Handlanger stürmen an jenem „Martinstag” die Häuser ihrer Mitbürger, die Rädelsführer sind vorwiegend Einheimische, Emser Geschäftsleute, Handwerker, Amts- und Würdenträger, unterstützt von herbeigeeilten Gesinnungsgenossen aus den Nachbargemeinden Lahnstein, Miellen, Fachbach und Nievern. Fenster und Türen werden eingeschlagen. Man wird dieses schändliche Scherbengericht später „Kristallnacht” nennen, eine zynische Wortschöpfung der Nazis, die auf dem Klirren der zerschlagenen Fensterscheiben basiert. Bekannte Bad Emser Persönlichkeiten werden an den Tatorten gesehen, bei dem erst zwölf Jahre später stattfindenden Prozess fehlen sie sogar im Zeugenstand. Zu den Schuldigen gehören aber auch Lehrer, die ihre Schüler an die Orte der Schandtaten führen, um ihnen dort zu erklären, dass es höchste Zeit sei, „den Juden zu zeigen, dass das deutsche Volk sich nicht alles gefallen lasse”. So steht es dann auch wörtlich in einer Schulchronik. Studienrat August Ax, einer der beteiligten Lehrer meint später zu Bekannten: „Ich musste doch mitmachen, was blieb mir denn anderes übrig”.

In Scharen eilen Emser Bürger an jenem Abend des 10. November 1938 zu den Tatorten, erleben dort wie der Mob wütet, in mindestens einem Fall werden die Täter sogar zum Handeln angefeuert. Zufällig vorbeikommende Passanten schauen zwar ängstlich weg, sie haben aber schon genug gesehen. Andere beteiligen sich spontan an den Plünderungen und Verwüstungen, aber es ist nicht bekannt, dass sich jemand in dieser Nacht öffentlich empört hätte. Auch nicht die Mitglieder des Emser Ärztestammtischs, die an diesem Donnerstagabend im Hotel „Zum Löwen” tagen. Dabei sind die grölenden Horden nicht zu überhören: nur hundert Meter weiter zerschlagen sie in der Grabenstraße wertvolles Kristallglas und Porzellan der jüdischen Bankiersfamilie Kirchberger und drei Häuser vom Löwen entfernt wüten sie bei dem Juden Albert Mainzer. Im angrenzenden Hotel „Weißes Roß” (später Emser Hof), schlagen sie die Scheiben ein. Der Hotelier Simon Kuckenberg, der als judenfreundlich bekannt ist und in seiner Hauskapelle auch jüdische Musiker beschäftigt, wird bedroht und misshandelt, ähnlich ergeht es dem Personal. Sämtliche Zimmer des Hauses werden durchsucht, man habe dort den jüdischen Kaufmann Otto Kirchberger versteckt, heißt es, doch die Aktion endet erfolglos. Direkt gegenüber, auf der anderen Lahnseite, im Eckhaus Mainzer Straße/Bahnhofstraße, werfen SA- und SS-Männer das Mobiliar des beliebten Arztes Dr. Cohn aus dem Fenster, die Familie wird aus ihrer Wohnung gejagt. Wenige Tage später erzählt ein Anwohner der Bachstraße seinen Nachbarn stolz, auch er sei dabei gewesen. Er berichtet, die Familie Cohn sei in ein Gartenhäuschen geflüchtet, Frau Cohn habe dort ihr Kind mit Pudding gefüttert. Prahlend fügt der Mann in Emser Dialekt hinzu: „Ich hab dene aber mal rischtisch in de Pudding gespuckt”. Es bleibt nicht der einzige Terrorakt in der Mainzer Straße, nach dem Überfall bei Cohn stürmt der Mob im Nachbarhaus die Pension der jüdischen Geschwister Kaufmann und zerschlägt dort die komplette Einrichtung.

„Damit haben wir nichts zu tun, das geht uns nichts an”, heißt es bis in die späten 80er Jahre, wenn das Thema „Emser Kristallnacht” zur Sprache kommt. So funktioniert das System der Einschüchterung und des Verdrängens auch über das Kriegsende hinweg. Man kennt sich in der Kleinstadt, will auch in Zukunft in vermeintlichem Frieden zusammenleben und jeden Ärger vermeiden...