Bad Ems

1923: Karl Kaffines Separatisten-Regime (Seite 1)

Wegen Verzögerung der geforderten Reparationslieferungen besetzen Franzosen und Belgier ab 11. Januar 1923 das gesamte Ruhrgebiet, 60 000 Soldaten sichern die wichtigsten Industriezentren, sie überwachen Kohlengruben und Stahlwerke. Die Reichsregierung ruft die Bevölkerung der betroffenen Gebiete zu passivem Ungehorsam auf, Widerstandsgruppen bilden sich, es kommt zu massiven Aufständen. Nationalisten und Kommunisten organisieren – oft gemeinsam – Sprengstoffanschläge gegen die fremden Mächte. Für die Separatisten ist das ein willkommener Anlass, um mit Hilfe der Besatzer die eigenen Pläne im gesamten Rheinland umzusetzen.

Karl Peter Kaffine, Jahrgang 1895, gebürtiger Emser, ehemaliger Postgehilfe und verheiratet mit der sieben Jahre jüngeren Mireille Angeran, Tochter eines französischen Besatzungsoffiziers, ist seit 1922 Emser Statthalter der im gesamten Rheinland Unruhe schürenden und aus Wiesbaden agierenden Dorten-Gruppe. Der 27-jährige ehemalige Vorsitzende der neu gegründeten örtlichen SPD – politische Gegner nennen das frühere Ratsmitglied der Sozialdemokraten wegen seiner guten Beziehungen zu den Besatzern „Franzosen-Karlchen” – sorgt mit skandalösen Auftritten und Beleidigungen für erhebliche Unruhe. Seine Nähe zu den Besatzern, parteiinterne Spannungen und solche mit anderen Ratsfraktionen führen am 21. Juli 1922 nach einer turbulenten Sitzung im Gasthaus „Alte Krone” zu Kaffines Parteiausschluss. Politische Gegner schelten ihn schon zu SPD-Zeiten einen „verfluchten Sozialisten und Menschenaufwiegler”.

Der Mann, der noch 1921 als erster Kreisdeputierter beim Landratsamt in Diez und als Beauftragter des Landrats Ehrenmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs einweiht, spaltet nun die Emser Sozialdemokraten. Er gründet mit weiteren Abweichlern, dazugestoßenen Arbeitslosen und mit führender Unterstützung seines ebenfalls aus der SPD gefeuerten Bruders Wilhelm, im Emser Volksmund „Dynamit-Willi” genannt, die „Republikanische Volksgemeinschaft”. Es ist ein wilder Haufen, der mit zunehmender Anhängerschar und im Schutz der Besatzung Angst und Schrecken in Ems verbreitet. Ihr Stammlokal wird Karl Kaffines einschlägig bekannte „Simplizissimus-Diele”, eine von Franzosen stark frequentierte Nachtbar gegenüber dem Haus „Vier Türme”. Außerdem besitzt Dortens „Statthalter” in der Kurstadt ein Lebensmittel- und Zigarrengeschäft, er ist darüber hinaus Teilhaber der Koblenzer Merkur GmbH, ein Unternehmen, das sich mit dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen und der Ausführung von Gütertransporten beschäftigt. Woher der einst niedrig besoldete Postgehilfe das Geld zur Finanzierung seiner geschäftlichen Aktivitäten hat, bleibt ungeklärt. Die engen Beziehungen zu den Besatzern sind ihm jedenfalls von Nutzen. Ehemalige Parteifreunde behaupten aber auch, er habe sich durch Missbrauch seiner Vertrauensstellung in der Partei bereichert. Das ist einer der Gründe des Rauswurfs aus der SPD. Sein Amt als städtischer Beigeordneter muss Kaffine wegen Korruption aufgeben, der Regierungspräsident in Wiesbaden hatte gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

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