Bad Ems

1925: Noch sind die Nazis weit weg (Seite 1)

Erst spricht man nur an den Emser Stammtischen von der neuen Partei und ihren Aktionen im fernen München. Manche spötteln über die Nationalsozialisten und einen Adolf Hitler, der mit großen Plänen die Welt verändern will, aber nach einem gescheiterten Putsch im Gefängnis landet. Dabei hat sein von Mord, Geiselnahmen, Raub und Plünderungen begleiteter Umsturzversuch im November 1923 gezeigt, wohin die Reise gehen soll: Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten werden gnadenlos verfolgt. Aber München ist weit weg und die heimische Presse wertet den Besuch der Hitler-Veranstaltungen als eine „gewisse Modesache”. Mit einem Machtwechsel durch die Hakenkreuzpartei rechnet sie nicht. Der Kommentator der Emser Zeitung schreibt am 8. Dezember 1922 über die braune Zunft und ihren Führer: „Die verschwommenen Schlagworte der Nationalisten von einer Wirtschaftsreform lassen befürchten, dass sie hilflos daständen, wenn man von ihnen verlangen würde, dass sie plötzlich die Verantwortung für die Regierung übernehmen sollten. [...] Die Leute, die heute Hitler, diesen impulsiven Agitator vorschieben und ihn umschmeicheln in der Hoffnung, dass er ihnen die Wege zur Höhe ihres Ehrgeizes bereiten könne, haben nichts von dem Zug jener großen Männer, nach denen Hitler ruft, und die in der Lage wären, diktatorisch das ganze Volk mit eisernem Willen zusammenzufassen und es wirklich politisch zu führen [...]”

Seit dem Spätherbst 1925 kursieren erste Zitate aus dem Buch „Mein Kampf”, aber in Ems hat es vermutlich noch keiner gelesen. Doch der Urheber allen Unheils hat Erfolg: Die Bewegung der Braunhemden schwappt durchs Reich, man hört von neuen Gruppierungen in Westfalen, in Thüringen, Hannover, Mecklenburg und Sachsen. Sogar in Koblenz, Oberlahnstein, Braubach, Nastätten und Singhofen gibt´s schon NSDAP-Ortsgruppen oder -stützpunkte mit den dazu gehörenden SA-Sturmabteilungen, in der sonst allem Neuen aufgeschlossenen Kurstadt sieht man sie noch nicht. Die Keimzelle der künftigen NSDAP im Unterlahnkreis liegt seit 1924 in Nassau, sie formiert sich aus dem „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund” und der „Völkischen Freiheitsbewegung”.

NS-Dokumente nennen als Wegbereiter den Nassauer Schreinermeister Georg Kreidel (Jahrgang 1873, NSDAP-Nummer 36325, Eintritt am 14.5.1926) und seinen Freund Heinrich Maxeiner aus Singhofen (Jahrgang 1889, NSDAP-Nr. 36326, Eintritt am 2.5.1926). Die im Mai 1926 gegründete und von Kreidel geführte Nassauer Ortsgruppe untersteht dem NSDAP-Gau Köln und wird erst 1928 dem Gau Hessen-Nassau-Süd unter Gauleiter Jakob Sprenger (Frankfurt) angegliedert. Sieben der etwa 2500 Nassauer Bürger zählen mit ihren niedrigen Mitgliedsnummern (unter 100 000) zu den Nazis der Gründerjahre, in der kleineren Gemeinde Singhofen (ca. 1000 Einwohner) leben sogar acht der ganz frühen Parteigenossen.

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