Bad Ems

1945: "Kesselschlacht" um Bad Ems?

Die bisher von größerem Kriegsgeschehen verschonte Badestadt und ihre Nachbargemeinden sind seit dem 22. März von US-Truppen fast eingeschlossen, der amerikanische Militärsender berichtet von der „Kesselschlacht um Bad Ems”. Der Emser Werner Köpper erfährt im Kriegsgefangenlager „Washington”, ein nur wenige Stunden zuvor bei Mainz eingerichtetes POW-Camp, von dieser „Kesselschlacht”. Es heißt, SS-Verbände hielten die Stadt. Köpper befürchtet das Schlimmste, tatsächlich gibt es nur Kämpfe in den Randzonen des Westerwalds, in den höher liegenden Wäldern auf der Taunusseite und vereinzelte Widerstände in und vor dem Kurort.

Schon Tage zuvor werden dort die Lazarette geräumt: 555 Patienten bringt der Lazarettzug Nummer 662 am 4. März nach Heilbronn, Schwäbisch Hall, Ellwangen, Schwäbisch Gmünd, Schorndorf und Tübingen. Einer der letzten Transporte verlässt am 16. März um 18.52 Uhr Bad Ems, seit 14.15 Uhr hat der LZ 662 noch 247 Verwundete aufgenommen – und nach Angaben der Zeitzeugin Edith Kalter auch einige örtliche NS-Funktionäre. Weitere 338 Verletzte werden am 17. März in Nassau zugeladen, ihr Zielort ist Ravensburg. Über die Lage in Bad Ems notiert Oberzahlmeister Willy Fleischhauer vom Lazarettzug 662 ins Kriegstagebuch seiner Einheit: Gegen Ende der Beladung sind mehrmals Granateinschläge in der Umgebung von Ems zu hören.

In Bad Ems beginnt das Chaos: Kläglich ausgerüstete Wehrmachtsverbände ziehen in langen Kolonnen mit klapprigen Fahrzeugen, Pferdegespannen, aber meist zu Fuß, durch die Kurstadt. Seit 25. März herrscht der Ausnahmezustand, ziellos irren Zivilisten und Soldaten umher, es kommt zu Plünderungen der zurückgelassenen Militärbestände. Vor dem Hotel „Englischer Hof„, ein aufgelöstes Lazarett gegenüber der Polizeiwache im Rathaus, balgen sich Menschenmassen um graue Wehrmachts-Wolldecken, Soldaten werfen sie bündelweise aus den Fenstern auf die Römerstraße.

An der Versandhalle in der Mainzer Straße befiehlt ein Oberzahlmeister des Heeres die Räumung des Wehrmachtsdepots, Säcke, Kartons und Kisten werden auf ein Lahnschiff verladen. Der Auftrag kann wegen dem Näherrücken der Amerikaner aber nur teilweise ausgeführt werden, 9000 Portionen Einsatzverpflegung übernimmt Polizeimeister Molitor noch für den Volkssturm und von der Front kommende Soldaten, dann lässt der Oberzahlmeister die Halle anzünden, heißt es in Zeitzeugenberichten. Anwohner behaupten, ein auf der Nordseite des Hauptbahnhofsbereichs in Stellung gegangener Amerikaner habe die Halle mit Leuchtspurmunition in Brand gesetzt, nachdem seine Einheit von dort angegriffen wurde. Der Dachstuhl steht in Flammen, das Feuer erfasst auch das benachbarte Bootshaus, stundenlang explodieren dort gelagerte Munitionsbestände. Das Gebäude des Rudervereins brennt bis auf die Grundmauern nieder, der Rauch ist kilometerweit zu sehen, als die Amerikaner kommen. Die Schiffsladung aus dem Emser Depot erreicht noch die Lahngemeinde Geilnau, sie wird in den ersten Nachkriegsstunden zum großen Teil von Einheimischen geplündert. In Ems verebben die Kampfhandlungen der Deutschen, eine Geschützbatterie steht am Höhenhaus, aber der Artilleriechef verspricht den besorgten Anwohnern, er werde auf sinnlosen Widerstand verzichten. Als die Granateinschläge näher kommen, zieht sich der Offizier mit seiner Einheit kampflos zurück. Ähnliches geschieht vor der Brunnenhalle: Auf dem mit einem riesigen roten Kreuz bemalten Vorplatz bringen zehn junge Soldaten am 27. März morgens ein leichtes Geschütz in Stellung, auch sie wollen den Feind abwehren. Bis eine Oberschwester des Lazaretts aus dem nahe gelegenen Kurhaus-Keller herbeieilt: Leute, ihr wollt uns doch nicht noch ins Unglück stürzen, bevor der Krieg zu Ende ist. Die Jugendlichen erkennen die Aussichtslosigkeit der Lage, sie schieben das Geschütz in die Brunnenhalle, verdecken es eilig und hasten davon. Der Vater eines Beteiligten schreibt wenige Monate später an die Emser Adresse Wilhelm Diel, Grabenstraße 11, dass der Sohn gut nach Hause gekommen sei. Diel hatte die Brieftasche des jungen Volkssturmsoldaten gefunden und sie nach Wiederherstellung des Postbetriebs an die darin ersichtliche Heimatadresse geschickt...